„Mister Thunder“
Als „Mr. Thunder“ oder „The Irrepressible Elvin Jones“ (soviel wie unbändig, unbezähmbar, nicht zu unterdrücken) wurde er bei Konzerten angekündigt. Elvin, der jüngste dreier Brüder aus Detroit, die allesamt erhebliche Beiträge zum Jazz leisteten, war ein Power-Schlagzeuger. Sein Spiel baute auf dem seiner Zeitgenossen wie Max Roach oder Art Blakey auf – und führte weit darüber hinaus. Er spielte gleichzeitig sich überlagernde Rhythmen, mit eifrigem, trickreichen Einsatz von Triolen – und das mit verblüffender Dynamik und Ausdauer. Die brauchte er als späterer Partner des großen John Coltrane auch. Er war in der Lage, seinen Chef bei oft bis zu einer Stunde dauernden oder noch längeren explosiven Improvisationen vulkanisch zu begleiten, herauszufordern und zu inspirieren. Oft klang es, als seien mehrere Drummer gleichzeitig am Werk. Sein ¾-Groove, der einen klassischen Jazz-Waltz mit einer afro-kubanischen Figur kombinierte, wurde legendär. Er führte das Schlagzeugspiel an die Grenze der Auflösung des Metrums und war sowohl ein Wegbereiter der Avantgarde als auch des Fusion-Jazz. Als Coltrane sich allerdings in die totale Freiheit, in den völlig freien Jazz, zu bewegen begann, verließ Elvin das klassische John Coltrane Quartet. Diesen Weg wollte er nicht gehen.
Die Flamme Coltranes
Das Werk Coltranes führte Elvin mit seinen eigenen akustischen Bands, die meist als „Elvin Jones Jazz Machine“ firmierten, weiter. Oft hatte er gleich zwei Tenorsaxophonisten dabei, zeitweise setzte er einen Gitarristen statt eines Pianisten ein. Gleichzeitig war er als Sideman in All-Star-Formationen und bei unzähligen Plattenausnahmen gesucht. Schon in den Sechzigern setzte ihn das Label Blue Note auf bahnbrechenden Scheiben mit dem jungen Wayne Shorter oder mit dem Organisten Larry Young und dem Gitarristen Grant Green ein. Später machte er großartige Platten mit seinem Freund Albert Mangelsdorff („The Wide Point“, „Hot Hut“).
Elvins Verhalten war als junger Mann ebenso wild wie sein Spiel an seinem Instrument. Seine spätere Frau Keiko, eine Japanerin aus Nagasaki, schaffte es, ihn als Mensch zu bändigen. Ich habe erlebt, wie diese zarte, jedoch überaus energische Frau ihn an einer recht kurzen Leine hielt. Doch das tat ihm gut. Keiko managte ihn, sorgte dafür, dass er bei Tourneen komfortable Bedingungen vorfand und richtete eigenhändig sein Schlagzeug auf den Bühnen der Jazzwelt ein. Sie steuerte sogar einige Kompositionen bei, die die Jazz Machine immer wieder spielte, zum Beispiel „Keiko’s Birthday March“.
Elvin starb 2004. Bei seinen letzten Auftritten brauchte er die Unterstützung eines Sauerstoffgeräts. Die Welt verlor einen liebenswürdigen, trotz seines explosiven Spiels sanftmütigen Menschen, der einer der wichtigsten Schlagzeuger des modernen Jazz war. Noch Generationen von Schlagzeuger werden sich mit den von ihm entwickelten Grooves beschäftigen. Sein Können, seine Power und Emotionalität wird vermutlich kaum jemand erreichen.
Der berühmte Drummer Steve Gadd soll gesagt haben: „I respect Buddy Rich, but I love Elvin Jones.“ So ist es.