Allgemeine Platten-Tipps zum Volkshochschul-Kurs

Ich weiß, heute kann man (fast) alle jemals produzierten Jazz-Aufnahmen über Streamingdienste hören. Das ist für unseren Kurs durchaus praktisch. Streaming macht es möglich, Aufnahmen überhaupt erst einmal zu testen, kennenzulernen und zu vergleichen. Alle Titel, die wir hören und besprechen, sind verfügbar.

Für mich selbst hat das keinen Reiz. Ich setze auf den körperlichen, dinglichen Tonträger (ob als Schallplatte oder CD) mit zuverlässiger Begleitdokumentation und guter Tonqualität.

Ich kenne noch die Zeit, in der es im örtlichen Laden möglich war, Kisten mit Platten durchzuwühlen, sich die Schätze anzuhören und mit kundigem Personal zu fachsimpeln. Solche Geschäfte sind selten geworden, allenfalls in Metropolen wie Berlin oder München gibt es noch welche. Glücklicherweise gibt es (wieder) einige Enthusiasten, die gebrauchte oder sogar neue Vinyl(!)-Platten in liebevoll gestalteten Läden anbieten.

Eine vernünftige Auswahl ist in den Elektronikmärkten nicht anzutreffen. Ein umfangreiches Jazzangebot gab es bis Mitte 2022 in der Braunschweiger Buchhandlung Graff. Aber leider ist auch dieser Versuch, ein Jazz-Angebot zu machen, gescheitert.

Es bleibt der Kauf über Onlinehändler oder Gebrauchtbörsen. Das Internet ist für Sammler ein Paradies. Aber nicht nur für „Sammler“. Auch diejenigen, die sich einen kleinen Grundstock an unverzichtbaren Aufnahmen zulegen wollen, kommen oft nur hier zu Ergebnissen.

Ich gebe hier ein paar Tipps zu CD-Boxen, die zu solch einem Grundstock führen können. Vorausgeschickt sei, dass die Langspielplatte sich erst in den 50er Jahren durchsetzte und die CD – mit noch größerer Kapazität – in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Vorher gab es sozusagen nur Singles auf Schellack. Alles, was heute aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf CD vorliegt, sind also Zusammenstellungen. Ein schönes Beispiel sind die Aufnahmen der Miles-Davis-Capitol-Band, die als „Birth of the Cool“ in die Jazzgeschichte eingegangen sind. Aus heutiger Sicht könnte man denken, dass es sich um die Produktion einer Langspielplatte handelte. Die Aufnahmen kamen 1948 einzeln als Schellacks heraus und wurden erst 1957 geschlossen als LP veröffentlicht.

Los geht‘s:

1. The Complete History Of Jazz, 1899-1959, Properbox 201

Die PROPER BOX aus England ist eine echte Einführung in die ersten 60 Jahre des Jazz. (Foto: T. Geese)

Die Box aus vier CDs versammelt 87 Stücke aus den ersten 60 Jahren des Jazz. Da die Rechte abgelaufen sind, brauchten sich die Macher der Zusammenstellung nicht um Verhandlungen mit den unterschiedlichsten Plattenfirmen zu bemühen. Heraus kam ein wirklich exemplarischer Sampler mit repräsentativen Marksteinen von Scott Joplin bis Charles Mingus. Besitzt man nur diese Box und beschäftigt sich mit den Stücken, bekommt man ein zutreffendes Bild von der Entwicklung dieser Musik bis zum Beginn der Free-Jazz-Periode. Das Ganze ist gut dokumentiert mit einem Text, der jede Aufnahme kurz und kundig kommentiert.

Überhaupt: Es gibt eine Unzahl von mehr oder wenig obskuren Platten-Labeln, die Aufnahmen herausbringen, deren Rechte abgelaufen sind. Die meisten machen das lieblos. Da ist Vorsicht angebracht. Bei den Proper-Boxen ist das ganz anders. Die Zusammenstellungen sind allesamt sinnvoll ediert, besitzen eine gute Klangqualität und geben Auskunft über Aufnahmedaten und -umstände.

2. Jazz Box – 25 original albums

Eine „Jazz Box“ mit „25 original albums“ brachte die französische Decca (Universal-Konzern) heraus. Hier sind Platten versammelt, die ursprünglich bei den Firmen Verve, Riverside, Prestige, Blue Note, Barclay, Impulse!, Mercury usw. erschienen waren.

Hier:

CD 1: Ella & Louis (1956)
CD 2: Billie Holiday Sings (1952)
CD 3: Duke Ellington Meets Coleman Hawkins (1962)
CD 4: Count Basie: April In Paris (1955-56)
CD 5: The Great Artistry Of Django Reinhardt (1953)
CD 6: Bird And Diz (1950)
CD 7: Monk’s Music (1957)
CD 8: Miles Davis: Ascenseur Pour L’Echafaud (1958)
CD 9: Sonny Rollins: Saxophone Colossus (1956)
CD 10: Bill Evans: Sunday At The Village Vanguard 1961)
CD 11: Chet Baker: Quartet (1955)
CD 12: Getz / Gilberto (1963)
CD 13: Quincy Jones: Big Band Bossa Nova (1962)
CD 14: Mingus Mingus Mingus Mingus Mingus (1963)
CD 15: John Coltrane: Ballads (1961-62)
CD 16: Wayne Shorter: Speak No Evil (1964)
CD 17: Herbie Hancock: Maiden Voyage (1965)
CD 18: Michel Petrucciani (1981)
CD 19: Abbey Lincoln: Who Used To Dance (1996)
CD 20: Paco De Lucia, Al Di Meola, John McLaughlin: The Guitar Trio (1996)
CD 21: Norah Jones: Come Away With Me (2001)
CD 22: Jamie Cullum: Twentysomething (2003)
CD 23: Madeleine Peyroux: Careless Love (2004)
CD 24: Melody Gardot: My One And Only Thrill (2008)
CD 25: Gregory Porter: Liquid Spirit (2013)

Auf Anhieb ist zu sehen, dass hier etliche gute Stücke enthalten sind, die in jede Sammlung gehören. Das Begleitheft bildet jedes Cover auf jeweils einer Seite mit kurzen Texten ab. Die CDs befinden sich in Miniatur-LP-Hüllen mit den Original-Coverabbildungen. Die Liner Notes der Originale sind auf der Rückseite nicht abgedruckt, dafür die diskografischen Angaben.

Ein lohnender Kauf. Sehr zu empfehlen.

3. Jazz – The Perfect Jazz Collection – 25 Original Albums (Sony)

4. Jazz 2 – The Perfect Jazz Collection – 25 Original Albums (Sony)

Die „perfekte Jazz-Kollektion“ versammelt Original-LPs der Label Columbia, RCA-Victor, Epic und CTI. (Fotos: T. Geese)

Beide Boxen kamen 2010 auf den Markt und versammeln insgesamt 50 ursprünglich als LPs veröffentlichte Jazz-Alben aus den Archiven von Columbia, RCA-Victor, Epic und CTI. Allesamt sind es echte Klassiker, teilweise bahnbrechende Produktionen wie „Kind of Blue“, „Time Out“, „Concert by The Sea“, „Sonny Meets Hawk“ uswusf. Ein einziger Fehlgriff betrifft den umstrittenen Soundtrack zum Clint-Eastwood-Biopic „Bird“ über Charlie Parker. Dafür isolierte man Original-Soli von Parker und baute sie in die Interpretationen einer Band aus aktuellen Musikern ein. Ein fragwürdiges Unterfangen. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass Parker keine Aufnahmen für die genannten Labels machte und man ihn trotzdem in diesem Kaleidoskop des Jazz haben wollte. Verziehen!

Zu den Boxen gehören jeweils ein Büchlein mit allen diskografischen Angaben. Die Cover sind Miniaturabbildungen der Originale; zusätzliche und Alternativ-Takes komplettieren die einzelnen Sessions.

Angemerkt sei, dass es noch weitere Boxen von Sony/Columbia gibt, die teilweise ärgerliche Doppelungen enthalten. Da muss man aufpassen.

4. Atlantic Jazz Legends – 20 Original Albums from the Iconic Atlantic Label, Rhino

Foto: T. Geese

Von Mitte der 50er bis in die Siebziger Jahre reicht die Spanne der Originale, die hier versammelt sind. Schön ist, dass es auch einige weniger bekannte Platten in das Programm schafften. Es sei das Album „Lush Life“ des sich hier an der Orgel begleitenden Sängers Joe Mooney genannt. Ansonsten treffen wir u. a. John Coltrane mit „Giant Steps“, Ornette Coleman mit „Change of the Century“, Charles Mingus mit „Blues and Roots“ und Roland Kirk mit „The Inflated Tear“ an.

Der Vorteil der Sony-, Universal- und Atlantic-Boxen ist, dass Originale versammelt wurden, und es sich nicht um Sampler handelt.

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