Mit Rahsaan Roland Kirk begegnet uns der vielleicht originellste Musiker des Jazz; ein geniales Unikum, das mehrere Saxophone gleichzeitig (!) spielte und das Spiel auf der Querflöte auf ein neues Level hob. Er war 1936 als Roland Kirk in Columbus, Ohio, geboren wurden und erblindete im Alter von zwei Jahren. Im Traum hatte Kirk sich simultan mehrere Saxophone spielen sehen, worauf er sich im Keller eines Musikgeschäfts die ausgemusterten Instrumente zeigen ließ. Er fand ein Manzello (dessen Klang einem Sopransaxophon ähnelt) und ein Stritch, das dem Klang eines Altsaxophon nahe kommt, und brachte sich bei, beide mit seinem Hauptinstrument, dem Tenor, gleichzeitig zu spielen. Er perfektionierte die Technik der Zirkularatmung, mit deren Hilfe er, scheinbar ohne Luft zu holen, mitunter zu lange Chorusse spielte. Ende der 50er Jahre erregte er Aufsehen mit seinem soulgetränkten Spiel, in dem die Tradition des Jazz wie dessen avantgardistische Gegenwart gleichermaßen zu hören war. Charles Mingus verpflichtete ihn („Mingus Oh Yeah“), er machte Aufnahmen unter eigenem Namen und tourte in Europa.
Ganz bestimmt kein Musikclown!
Seine Auftritte wurden teilweise kontrovers aufgenommen. Kritiker warfen ihm vor, er sei eher ein Musikclown als ein ernstzunehmender Jazzmusiker. Tatsächlich wirkte es skurril, diesen mit Pfeifen, Flöten und einem Transistorradio behängten Mann zu sehen, der drei Saxophone im Mund und neben sich einen Gong hatte. Dabei überhörten sie die Meisterschaft, mit der er seine Instrumente in seinem eigenen Kosmos beherrschte. Er war ein Mensch, der besondere Sinne entwickelt hatte, die den meisten verschlossen bleiben. Ein Traum Ende der 60er bedeutete ihm, den Namen „Rahsaan“ anzunehmen. Seine Band hieß fortan „Rahsaan Roland Kirk and the Vibration Society“. Diese Gruppe war ein überwältigendes Live-Erlebnis. Glücklicherweise gibt es einige Videos, in denen man sich davon überzeugen kann. Das Doppelalbum „Bright Moments“, das einen Auftritt der Society im Keystone Korner in San Francisco 1973 abbildet, ist eine Reise durch die Welt des schwarzen Jazz, die von Rahsaan humorvoll moderiert wird. Ein Meilenstein.
Vorbild für Eric Burdon and War
Seine Komposition „Serenade to a Cuckoo“, die er 1964 auf dem ausschließlich der Flöte gewidmeten Album „I talk with the Spirits“ vorstellte, coverte die Rock-Band Jethro Tull und verdiente viel Geld damit. „Eric Burdon and War“ spielten auf ihrer ersten Platte ein Stück zu seinen Ehren ein: „The Vision of Rassan (sic!) – (Dedication/Roll on Kirk)“. In London jammte Rahsaan mit Jimi Hendrix.
Rahsaan ging keinem musikalischen Wettstreit aus dem Weg. Er war bei Sessions gefürchtet, weil er die anderen Musiker in Grund und Boden spielte. Man kann das sehr schön auf dem Live-Album „Mingus at Carnegie Hall“ hören, wo Kirk nach dem überbordenden, explosiven Tenoristen George Adams spielt und die Ekstase auf die Spitze treibt.
1975 erlitt Rahsaan einen schweren Schlaganfall, der ihn halbseitig lähmte. Er gab nicht auf, ließ sich die Instrumente umbauen, so dass er einhändig spielen konnte und trat – viel zu früh – wieder auf. 1977 starb er nach einem weiteren Schlag im Alter von nur 41 Jahren. Ein schrecklicher Verlust für die Welt der Musik.