Hurra für Hipp und viele Bravos für Ilona Haberkamp!

Albert Mangelsdorff, der selbst immer wieder aufgefordert wurde, in die USA zu gehen und das – wohlweislich – nicht tat, sagte: „Besonders leid tut es mir auch um Jutta Hipp, die nach ein paar Jahren das Spielen ganz aufgegeben hat. Hier in Europa hätte sie ganz gewiss ein gewichtiges Wort mitzureden gehabt, und bei ihrem Talent hätte sie sich sicher noch viel weiter entwickeln können.“ (Paulot, Bruno: Albert Mangelsdorff, Gespräche, Waakirchen 1993, S. 56)

Das Ende der Karriere: Bis heute ein Rätsel

Wie es zum abrupten Ende ihrer Karriere kam, ist ein Rätsel der Jazzgeschichte, um dessen Lösung sich seit Jahrzehnte die deutsche Altsaxophonistin und Musikwissenschaftlerin Ilona Haberkamp bemüht. In ihrem neuen Buch, gerade erschienen, zeichnet sie das Leben der legendären Jutta Hipp nach. Ihre Biografie über die in den 50er Jahren als „Europe’s First Lady of Jazz“ gepriesene Pianistin heißt „Plötzlich Hip(p)“, der Untertitel lautet: „Das Leben der Jutta Hipp zwischen Jazz und Kunst“.

Das Buch ist überaus ansprechend gestaltet. Zahlreiche Fotos, Dokumente und Kunstwerke der Protagonistin sind abgebildet; Gedichte und Zitate von Jutta Hipp sind rot im Text eingerückt. Eine Freude in jeder Hinsicht.

Ilona Haberkamp: Intime Kennerin

Denn Ilona Haberkamp erweist sich einmal mehr als intime Kennerin der Leipzigerin Hipp. 1986 hatte sie sich mit ihrer Freundin, der Trompeterin Iris Kramer, nach New York aufgemacht, um Jutta Hipp dort in ihrem Exil aufzusuchen und zu interviewen. Wie Ilona Haberkamp gesteht, hatten die jungen Frauen den Traum, Jutta Hipp zu einer Rückkehr zum Piano und gemeinsamen Auftritten zu bewegen. Das schlug fehl, denn Frau Hipp hatte der aktiven Musik konsequent den Rücken gekehrt. Nachdem sie in der ersten Hälfte der 50er Jahre dem deutschen Nachkriegsjazz Glanzlichter aufgesetzt hatte, war sie Ende 1955 in die USA gegangen. Sie hatte nach dem jähen Ende ihrer vielversprechenden Jazz-Karriere in New York 1960 einen Brotjob als Zuschneiderin in einer Textilfabrik aufgenommen und sich nebenbei als bildende Künstlerin betätigt. Dabei brachte sie es zu mehreren Ausstellungen ihrer Bilder. Bis zu ihrem 70. Lebensjahr blieb sie in der Fabrik – bis die Firma pleite ging. Sonst hätte sie wegen schmaler Rentenansprüche noch länger gearbeitet. Aber das alles kann und sollte man ja alles in dem Buch nachlesen.

Rat Race in New York

Für die Jazzfans ist es natürlich besonders interessant, wie es zum Ende ihrer Karriere als Pianistin kam. Mitte der 50er Jahre war Jutta Hipp als eine der ersten europäischen MusikerInnen in das Mutterland des Jazz gegangen. Die deutsche Jazzszene war stolz auf Jutta, die in der Folgezeit die Deutschen von New York aus mit Briefen über das dortige Jazzleben informierte. Doch ihre Zeit auf der New Yorker Szene währte nur kurz. Trotz der Förderung durch den Kritiker und Impresario Leonard Feather und trotz dreier für Blue Note produzierter Langspielplatten scheiterte sie am „Rat Race“ in der US-Musikkultur.

Etablierte Musiker waren alles andere als erfreut, dass die weiße Deutsche protegiert wurde und ihnen (angeblich) die Arbeit wegnahm. Sie selbst fand sich im Vergleich zu den PianistInnen, besonders den afro-amerikanischen, als zu schlecht. Übermäßiger Alkoholmissbrauch tat sein Übriges.
Jutta Hipp bezeichnete die Annahme des Fabrikjobs und damit die Abkehr von der aktiven Musik und dem Alkohol als ihre Rettung.

Warum blieb sie in den USA?

Trotzdem bleiben Fragen offen, die niemand, auch Ilona Haberkamp nicht, mit letzter Sicherheit beantworten kann. Weshalb kehrte Jutta nicht nach Deutschland zurück? Weshalb nahm sie, die Kunst in Leipzig studiert hatte, nicht eine Arbeit im Grafikgewerbe an, sondern arbeitete als Ungelernte in einer Fabrik?

Als ich meiner Frau, einer ausgewiesenen und lebenserfahrenen Küchenpsychologin, davon erzählte, sagte sie spontan: „Sie hat sich selbst bestraft!“ Das hat mir zu denken gegeben. War Jutta Hipp aus Deutschland „geflüchtet“, nachdem sie sich schweren Herzens entschlossen hatte, ihren Sohn zur Adoption freizugeben? Lionel war 1949 aus einer Liaison mit einem schwarzen GI hervorgegangen. Zu dieser Spekulation gibt die Biografie weder Anlass noch einen Hinweis. Sie sei aber gestattet, denn das Rätsel um ihr Leben nach der Karriere als Musikerin bleibt.

Mit „Mon Petit“ war ihr Sohn gemeint. Jutta Hipp and her German Jazzmen mit Emil Mangelsdorff, as, Joki Freund, ts, Jutta Hipp, p, Hans Kresse, b, Karl Sanner, dr, fec. 13.04.1954, Frankfurt/Main, zuerst erschienen bei Blue Note, später wiederveröffentlicht bei L+R.


Nachdem sie das Klavierspiel aufgegeben hatte, lebte sie bis zu ihrem Tod 2003 allein in einer kleinen Wohnung.

So lässt mich diese gelungene Lebensbeschreibung einer hochbegabten Künstlerin etwas traurig zurück.

The Life and Art of Jutta Hipp: Ein Kunstwerk!

Doch dieses Buch ist nicht das einzige, was Ilona Haberkamp über Jutta Hipp erschaffen hat.

Zum 90. Geburtstag der Pianistin veröffentlichte sie zusammen mit dem Hipp-Forscher Gerhard Evertz ein opulentes Werk unter dem Titel „The Life and Art of Jutta Hipp“. Ein dickes Buch mit biografischen Informationen, mit einer Unzahl von Dokumenten, Fotos und Abbildungen von Kunstwerken Hipps im LP-Format in einer Box mit sechs CDs und einer DVD mit allen bekannten Aufnahmen der Pianistin. Das ganze Produkt ist ein Kunstwerk!

http://www.ilonahaberkamp.com/images/Jutta-Hipp-Flyer.pdf

Und ein Tribut an Jutta Hipp per CD

Außerdem brachte Frau Haberkamp 2013 ein Musik-Projekt mit dem Namen „cool is hipp is cool“ heraus, ein Tribut an Jutta Hipp. Eigenkompositionen und Stücke, die mit Jutta Hipp verbunden sind, werden von Ilona Haberkamp, Altsaxophon, Ack van Rooyen, Flügelhorn, Laia Genc, Piano, Paul G. Ulrich, Bass, und Thomas Alkier, Schlagzeug, swingend und kühl interpretiert. Dazu deklamiert Silvia Droste Gedichte von Hipp über Musiker wie Charles Mingus oder Lester Young. Aus Juttas Gedicht über Thelonious Monk „Plink, Plank, Plonk“ macht Komponistin Laia Genc mit Sängerin Silvia Droste ein boppig-witziges Kleinod.

Also: Schnell alles besorgen. Die Jazzwelt ist kurzlebig; schnell verschwinden solch lebenswichtige Artefakte vom Markt.

P.S. 2012 weihte die Stadt Leipzig den „Jutta-Hipp-Weg“ im Stadtteil Meusdorf im Gedenken an die Künstlerin ein, die ihr großes Potential leider nur teilweise ausgeschöpft hat. Meine Tochter Nica hat das Schild für mich fotografiert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert