Joachim Kühn
„From Time to Time Free“ heißt eine großartige CD, die Joachim Kühn im Jahr 1988 mit seinem langjährigen Trio mit Jean-Francois Jenny-Clark, Bass, und Daniel Humair, Schlagzeug, aufnahm. Der Titel ist so etwas wie ein Credo für das Schaffen dieses großen Pianisten, der 1944 in Leipzig geboren wurde.
Dort wuchs er auch auf und steuerte nach einer klassischen Klavierausbildung eine Laufbahn als Konzertpianist an. Doch der Einfluss seines älteren Bruders Rolf, der sich seit der Nachkriegszeit zu einem international bedeutenden Jazz-Klarinettisten aufschwang, entzündete Joachims Feuer für die improvisierte Musik. Schnell wurde er in der DDR-Szene erfolg- und einflussreich. Eine Einladung Friedrich Guldas zu einem Auftritt in Wien nutzte Kühn, um 1966 der ihn beengenden DDR den Rücken zu kehren. Er lebte erst in der Bundesrepublik, dann eine Zeit in Frankreich, um daraufhin vorübergehend nach Kalifornien zu gehen. Hatte er bis dato kompromisslosen Free Jazz gespielt, lotete er in den 70ern den damals aktuellen Fusion Jazz aus, um schließlich wieder zum akustischen Jazz zurück zu kommen. Seit den 80er Jahren lebte er vorwiegend in Paris, wo er über zehn Jahre mit dem oben genannten Trio arbeitete. Die Zusammenarbeit endete mit dem Tod von Jenny-Clark.
Joachim Kühn machte unermüdlich weiter. Grenzen existieren für diesen Künstler scheinbar nicht. In immer wieder neuen Projekten bewies er seine Vielseitigkeit, wobei er seine technische Brillanz und seine Power stets ohne Kompromisse an den Zeitgeschmack ausspielte. Er spielte mit allen Größen des internationalen Jazz wie Stan Getz, Phil Woods, Joe Lovano, Jean-Luc Ponty oder Ornette Coleman. Immer wieder traf er mit seinem Bruder Rolf zusammen. Inzwischen hat er ein neues „französisches“ Trio, arbeitet mit arabischen Musikern oder mit „Young Lions“ der deutschen Szene zusammen.
Für die Musikerinitiative Braunschweig (später Jazzinitiative) gab Kühn zahlreiche Konzerte, einige solo, eines mit seiner „Jubiläumsband“ mit internationalen Jazzgrößen oder eines mit Dave Liebman. Oft griff er dabei zu seinem Altsaxophon, mit dem er entfesselt und frei aufspielte.
Ich erinnere mich an einen kurzen Dialog mit Joachim Kühn, als wir nebeneinander in einer Situation standen, in der sich nur Männer befinden können. Er fragte mich beiläufig, wen wir als nächste Künstler präsentieren wollten. Ich erzählte ihm, das sei Diana Krall mit ihrem Trio. Kühn sah etwas abschätzig drein und sagte dann leicht angewidert, mit dem für ihn typischen sächsischen Unterton in der Stimme: „Aber das ist doch Commercial Jazz!“
Joachim Kühn ist einer der größten Musiker, die der deutsche Jazz hervorgebracht hat. Seine Bedeutung ist nicht zu überschätzen. Seinen Lebensmittelpunkt hat er auf Ibiza gefunden.