Peter Brötzmann
Mitte der 60er Jahre löste Peter Brötzmann massive Kontroversen aus. Seine radikale Abkehr von Regeln der Musik, vom bisher in Europa gespielten Jazz, sein ebenso radikaler Umgang mit seinem Tenorsaxophon, führten zu einer Resonanz bei Publikum und Kritik, die zwischen Begeisterung und totaler Ablehnung lag.
Ich erinnere mich, als Teenager eine TV-Sendung gesehen zu haben, die sich mit dem Free Jazz Brötzmanns auseinander setzte. Der damals noch junge und dem swingenden Hard Bop verpflichtete Tenorsaxophonist Klaus Doldinger verriss Brötzmann darin fundamental. Er demonstrierte dessen Spielweise durch wildes Tröten in sein Instrument, um zu beweisen, dass es sich bei Brötzmann um einen Scharlatan handele.
Dass dem mitnichten so war, zeigte die Entwicklung der kommenden Jahre bis in die Gegenwart.
Brötzmann wurde 1941 in Remscheid geboren. Sein lebenslanges Wirken wird jedoch immer mit Wuppertal verbunden sein. Dort bildete er – mit dem Bassisten Peter Kowald – die Keimzelle der deutschen Spielart des Free Jazz. Peter Brötzmann hatte Kunst studiert und war als Grafiker tätig. Sein ganzes Leben war er in Kunst und Musik vorderste Avantgarde. Nachdem er in den 50ern traditionellen Jazz gespielt hatte, wandte er sich Anfang der 60er damals aktuellen Formen des Jazz zu und spielte Musik im Sinne Ornette Colemans oder Charles Mingus’ und geriet unter den Einfluss zeitgenössicher Musik von Komponisten wie Stockhausen und Cage. Brötzmann vernetzte sich mit anderen Free-Musikern wie Alexander von Schlippenbach oder Manfred Schoof. Schließlich gründete er ein Trio mit Kowald und dem Schlagzeuger Sven-Åke Johansson, das gleichzeitig den Kern des revolutionären Globe Unity Orchestras wurde. Später kam es zu einer engen und langen Zusammenarbeit mit dem niederländischen Schlagzeuger Han Bennink und dem belgischen Pianisten Fred Van Hove.
Brötzmann Live-Platte „Machine Gun“ – eine Eigenproduktion mit einem Oktett – war eine Sensation. Sie entstand 1968(!) vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Erneuerung in Deutschland und Europa und der Kriege in Vietnam und Biafra. Die Musik wirkte mit ihrer Intensität und Lautstärke, mit ihrem vermeintlichen Chaos, schockierend. Die Platte zeigte gleichzeitig die Emanzipation des europäischen Jazz, ihre Lösung von amerikanischen Vorbildern.
Peter Brötzmann blieb bis zu seinem Tod 2023 ein überaus kraftvoller Musiker, der neben dem Tenor Klarinette, Bassklarinette und Bass-Saxophon spielte. Über die Jahrzehnte war er ein international hoch geschätzter Avantgardist, der Verbindungen zur freien Szene in Chicago pflegte und große Erfolge im jazzbegeisterten Japan feierte.
In seiner Radikalität wirkte Brötzmann mit seinem großen Einfluss über die enge Welt des Jazz hinaus. Auch Laien, die mit Jazz nicht viel anzufangen wissen, identifizieren diese Musik vielfach mit seiner Spielweise: „Jazz finde ich ganz gut, aber nicht Free Jazz.“ Und meinen damit alles jenseits von Dixieland.